2. Einführung |
Sehr grundlegende Zustände unserer
Gesellschaftsordnung sind auf Faktoren zurückzuführen, deren
Bedeutung wir nur unter größeren zeitlichen und räumlichen
Zusammenhängen erkennen können. Es reicht also nicht aus nur
die Entwicklung der letzten Jahrzehnte und die besonderen
Wandlungen in der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten.
Trotzdem muss man nicht viel in der Vergangenheit
forschen um große Umwälzungen erkennen zu können. Der
Zusammenbruch des Sozialismus in der Sowjetunion und in Osteuropa
hat sich weitgehend gegen Ende der 80-er Jahre des 20.
Jahrhunderts ereignet. Im Jahre 1989 ist die DDR in seiner alten
Form zerbrochen und ein Jahr später auch formal verschwunden. Es
fand gleichsam eine Fusion zweier verschiedener politischer und
wirtschaftlicher Systeme statt. Eine Verschmelzung der
Verfassungen und der Gesetzgebung hielt jedoch niemand für
nötig.
Dies wäre wahrscheinlich auch nicht leicht
gefallen, weil offensichtlich nur ein System versagt hatte und
dem zufolge das andere System als Sieger hervorgegangen war.
Nach einem größeren Krieg, vor allem wenn er
verloren geht, sieht das meist anders aus. Im Laufe der deutschen
Revolution 1848 bekam Deutschland die 1. Verfassung, die jedoch
nie in Kraft getreten war. Nach dem Krieg von
Preußen-Deutschland gegen Frankreich im Jahre 1869/1870 bekam
das Deutsche Reich die 2. Verfassung, und die Bürger ein
gewisses Wahlrecht und eine eigene Vertretung im Reichstag
zugestanden.
Nach dem 1. Weltkrieg von 1914-1918 war wieder
eine neue Verfassung fällig mit mehr Bürgerrechten. Die
wirtschaftlichen Verhältnisse waren jedoch danach kaum stabiler
als die politischen Verhältnisse. Im Reichstag wurde deshalb zu
Beginn der 30-er Jahre von vielen ein Verbot von Gewerkschaften
und politischen Parteien gewünscht. Solche Forderungen kann man
heute nur verstehen, wenn man sich in die Lage versetzt, in der
sich die Bürger angesichts der Weltwirtschaftskrise befanden.
Nach dem 2. Weltkrieg von 1939-1945 war wieder
eine neue Verfassung mit mehr Rechten für die Bürger fällig.
Schon zuvor hatte die CDU im Ahlener Programm vom 3.2.1947
umfangreiche Einschränkungen des privaten Kapitals gefordert und
stellte unter anderem fest: "Das kapitalistische
Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen
Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.
Inhalt und Ziel der sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann
nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern
nur das Wohlergehen unseres Volkes sein."
Solche Wünsche mögen unter dem Eindruck der jüngsten
Erfahrungen verständlich klingen, sie zeigen aber auch, dass die
Beachtung wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten vorrangig als
nationale Aufgabe gesehen wurde.
In der Folge wurde ein Wirtschaftssystem etabliert, bei dem unter
Ludwig Erhard die Kapitalinteressen mehr geduldet als gefördert
wurden.
Will man den Statistiken glauben, fand darauf hin ein Wertewandel
zugunsten der Kapitalinteressen statt, der von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt zunahm.
Die Darstellung zeigt die Zunahme der
Forderungen und Verbindlichkeiten der inländischen
nichtfinanziellen Sektoren in der BRD in Beziehung zum
Bruttoinlandsprodukt. Sie zeigt auch die dramatische Entwicklung
der Marktkapitalisierung der deutschen Aktien in den 90-er
Jahren. Betrug sie Anfang der 90-er Jahre weniger als die
Geldmenge M1, steigerte sie sich dann auf mehr als die Geldmenge
M3. Die Steuerquote und die Staatsausgaben ohne den Anteil für
die Pflichtversicherungen sind negativ dargestellt.
Der Marsch in die Verschuldung war nach der Währungsreform und
Entschuldung im Jahre 1948 anscheinend nicht zu stoppen. Hinzu
kam, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa aus
der Not gleichsam eine Tugend gemacht wurde. Die
Verschuldungskrise von Polen Anfang der 80-er Jahre zeigte
scheinbar die Überlegenheit des westlichen Systems. Die
Ideologie des Share Holder Value setzte sich auch in Europa immer
mehr durch. Der Fortschritt der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der 90-er Jahre spiegelt sich anscheinend in
der Entwicklung der Aktienkurse wider.
Vereinzelte Verschuldungskrisen waren angeblich Ausnahmen, die
die goldene Regel bestätigen.
Seit dem Jahre 1989 läuft die wirtschaftliche Entwicklung in
Japan jedoch in eine ganz andere Richtung, als in den Jahrzehnten
und Jahren zuvor. Dass deren Verschuldungsprobleme selbst 12
Jahre danach noch nicht behoben sind, mag noch angehen, weil
Japan von Europa weit entfernt ist. Auch der wirtschaftliche
Zusammenbruch in Albanien wenige Jahre nach der Wende, kann man
als Erblast aus sozialistischen Zeiten abtun.
Im Jahre 1997 kam es dann in Thailand zur großen
Verschuldungskrise. Sie wäre wohl kaum der Rede wert, wenn nicht
der Reihe nach die meisten anderen Fernoststaaten, mit in die
Depression gefallen wären. Zuvor galten sie bei den
Wirtschaftsexperten, den Politikern und den Ratingagenturen als
Vorbilder für eine nachahmenswerte Wirtschaftsweise. Nach dem
wirtschaftlichen Absturz hieß es zum Teil, sie sollten mehr
Demokratisierung zulassen.
Im August 1998, war Rußland nahezu genauso überraschend in
einer vergleichbaren Situation. Äußeres Zeichen derartiger
Abschwünge sind die rapide fallenden Wechselkurse der
Landeswährungen.
Die realen Probleme einer kapitalorientierten Volkswirtschaft
beginnen jedoch nicht erst dann, wenn die Aktienspekulanten von
ihrer vermeintlichen Intelligenz verlassen werden und fast nur
noch Verluste machen müssen. Die Arbeitslosigkeit ist ein
ständiger Begleiter in einem System, in dem um die Verteilung
gekämpft werden muss. Aber in Krisenzeiten treten diese Probleme
so deutlich zu Tage, dass sie selbst von den Profiteuren nur
schwer ignoriert werden können. Es mag sein, dass das
Inflationsproblem in solchen Entwicklungsphasen in den
Hintergrund gedrängt wird und deshalb die Finanz- und
Geldpolitiker für ihre kluge Strategie zur Geldstabilisierung
gelobt werden. Zur Genugtuung der Anteilseigner werden die
Aktienkurse bei der Inflationsberechnung nicht mitkalkuliert.
Wahrscheinlich ist das mit ein Grund, weshalb massive
Kurseinbrüche und deren verhängnisvolle Folgen scheinbar nur
von Spielverderbern und Neidern vorhergesagt beziehungsweise in
Aussicht gestellt werden.
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